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Filmkritik: Lion

Aktualisiert: 5. Aug. 2019


Wir alle kennen diesen Moment, haben ihn selbst erlebt in unserer Kindheit. Der Augenblick, in dem man seine Mutter oder seinen Vater aus den Augen verloren hat, umgeben von fremden Gesichtern, aber keinem vertrauten Lächeln. Im Kaufhaus, in der Stadt, wo auch immer. Doch dann, einen kurzen Moment später die Erlösung: da ist das vertraute Paar Augen, die Hände, die einen in den Arm schließen. Saroo Brierley musste 25 Jahre auf diese Erlösung warten. Ein kleines Wunder, das wahrhaftig passiert ist und Menschen rund um den Globus bewegte.


Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Indien klettert der 5-jährige Saroo (beeindruckend: Sunny Pawar) an einem Bahnhof in einen Zug, um dort auf seinen älteren Bruder Guddu zu warten. Doch die Müdigkeit übermannt ihn und so wacht er gefangen im verriegelten Zug auf und findet sich am Ende seiner Fahrt auf einmal im 1.600 Kilometer entfernten Kalkutta wieder. Alleine, nicht der dortigen Sprache mächtig und ohne den richtigen Namen seines Heimatortes zu kennen, gerät der Junge auf die Straße, muss betteln, wird von brutalen Männern gejagt und schließlich in ein Waisenhaus gesteckt. Was dann passiert, ist vermutlich die Chance seines Lebens: er wird von einem sympathischen, australischen Paar (Nicole Kidman, David Wenham) adoptiert und wächst behutsam in Tasmanien auf. Doch auch über zwanzig Jahre später holt den nun erwachsenen Saroo (großartig: Dev Patel) die Vergangenheit immer wie ein, weswegen er letztendlich beschließt, sich ihr zu stellen: mittels Google Maps und den Erinnerungen an seine Kindheit macht er sich auf, seine Heimat zu finden.


Garth Davis' Lion ist vor allem in einem Punkt beeindruckend: Die ersten 45 Minuten erzählt der gefeierte Regie-Debütant ausschließlich die Geschichte des 5-jährigen Saroos - komplett in Hindi und Bengalisch. Das macht die dramatische, packende Geschichte umso intensiver, umso realistischer. Natürlich gibt es ein Happy End, natürlich ist das auch tränenreich und emotional, aber der hervorragende Cast und die tolle Regiearbeit sorgen dafür, dass es zu keinem Zeitpunkt kitschig wird. Dev Patel war bislang eher als charmanter junger Mann auf der Leinwand zu sehen, in Slumdog Millionär oder den beiden Best Exotic Marigold Hotel Filmen beispielsweise. Hier beweist er, dass er auch in dramatischeren Rollen mehr als gut aufgehoben ist. Zurecht Oscar-nominiert liefert er hier zweifelsohne die beste Leistung seiner jetzt schon imposanten Karriere ab. Ebenfalls für einen Academy Award nominiert, kann Nicole Kidman trotz relativ kurzer Screentime einen beeindruckenden Auftritt abliefern. Als gebrechliche, einfühlsame Adoptivmutter Saroos kann sie vor allem in einer ergreifenden Szene, als sie eine Geschichte über eine Vision aus ihrer Kindheit erzählt, glänzen.


Technisch ist Lion ebenfalls großes Kino. Sowohl die beeindruckende Kameraarbeit von Rogue One - A Star Wars Story Kameramann Greig Fraser als auch die emotionale Musik des Duos Dustin O'Halloran und Volker Bertelmann sorgen dafür, zusammen mit den Darstellern und dem tollen Drehbuch eine starke Bindung zwischen Charakteren und Zuschauern aufzubauen. Dass gleich zwei australische Filme (der andere ist der ebenfalls hervorragende Hacksaw Ridge von Mel Gibson) in diesem Jahr für einen Oscar als bester Film nominiert sind, ist - wie von mir schon mehrfach geschrieben - das Ergebnis und folgerichtige Resultat der letzten Jahre: Der australische Film ist so stark wie noch nie und wird uns in den kommenden Jahren unter Garantie noch einige Meisterwerke bereit halten.


★★★★☆


Originaltitel: Lion

AUS/UK/USA 2016 • 128 Minuten • Universum Film • Kinostart: 23. Februar 2017 • FSK 12

Regie: Garth Davis • Drehbuch: Luke Davies • basierend auf dem Tatsachenroman von Saroo Brierley • Kamera: Greig Fraser • Schnitt: Alexandre de Franceschi • Musik: Dustin O'Halloran & Volker Bertelmann • Darsteller: Dev Patel, Rooney Mara, Nicole Kidman, David Wenham, Sunny Pawar, Abhishek Bharate, Priyanka Bose

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